2115 Rumpelstilzchen

Rumpelstilzchen



Es war einmal ein Müller, der war sehr arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Eines Tages begegnete ihm der König des Landes. Der Müller stellte alles gern ein wenig besser dar als es war und er sagte: „Ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen.“ Das gefiel dem König und er befahl, die Tochter des Müllers solle auf sein Schloss kommen.

Als das Mädchen einige Tage später eintraf, führte es der König sofort in eine Kammer, die voller Stroh war. Außerdem stand da ein Spinnrad. Der König sprach: „Nun zeige, was du kannst. Aber wenn das Stroh bis morgen früh nicht zu Gold versponnen ist, musst du sterben.“ Die Kammer wurde verschlossen und die arme Müllerstochter war allein und wusste nicht, was sie machen sollte. Vom Goldspinnen hatte sie nämlich keine Ahnung. Schließlich begann sie voller Angst zu weinen.

Plötzlich ging die Tür auf. Ein kleines Männchen kam herein und sprach: „Guten Abend, warum weinst du?“ Das Mädchen klagte sein Leid. Da fragte das Männchen: „Was gibst du mir, wenn ich dir helfe und alles Stroh zu Gold spinne?“ Das Mädchen versprach ihm sein Halsband. Der kleine Mann nahm das Band, setzte sich an das Spinnrad und in Windeseile waren die ersten Spulen voller goldener Fäden. So ging das bis zum frühen Morgen und ehe die Sonne aufging, war alles Stroh zu Gold gesponnen.

Als der König kam, staunte er und freute sich. Aber seine Habgier war noch nicht befriedigt und er ließ die Müllerstochter in eine andere Kammer bringen, die noch viel größer war und in der sich noch viel mehr Stroh befand als in der ersten. Der König befahl dem Mädchen, auch dieses Stroh in einer Nacht zu Gold zu spinnen, wenn ihm das Leben lieb wäre.

Wieder saß die Müllerstochter verzweifelt vor dem Spinnrad und begann bald erneut zu weinen. Doch nach einiger Zeit ging abermals die Tür auf, und das kleine Männchen kam und sprach: „Was gibst du mir, wenn ich dir das Stroh zu Gold spinne?“ Dieses Mal versprach ihm das Mädchen einen Ring, den es am Finger trug.

Das Männchen nahm den Ring, fing wieder an zu spinnen und hatte bis zum Morgen alles Stroh in glänzendes Gold verwandelt. Als der König das sah, freute er sich über die Maßen, aber er hatte immer noch nicht genug Reichtum angehäuft.

Er ließ die Müllerstochter in eine dritte  Kammer bringen. Sie war wieder voller Stroh und sogar noch größer als die zweite. Dieses Mal versprach er ihr: „Wenn du auch diese Aufgabe erledigst, sollst du meine Gemahlin werden.“ Denn er dachte, eine reichere Frau könne er auf der Welt nicht finden.

Als das Mädchen in der Nacht allein war, kam das Männlein zum dritten Mal und fragte wieder: „Was gibst du mir, wenn ich dir noch einmal alles Stroh zu Gold spinne?“ – „Ich habe nichts mehr, das ich geben könnte“, antwortete das Mädchen.

„Dann versprich mir dein erstes Kind, wenn du Königin geworden bist.“ In ihrer Verzweiflung versprach die Müllerstochter dem Männchen alles, was es verlangte. Dafür spann es noch einmal alles Stroh in einer einzigen Nacht zu Gold. Als der König am anderen Morgen kam, fand er alles, wie er es sich gewünscht hatte. Er nahm die schöne Müllerstochter zur Frau und sie wurde tatsächlich Königin.

Nach einem Jahr brachte sie ein schönes Kind zur Welt. Das Männchen hatte sie längst vergessen. Doch eines Nachts trat es in die Kammer, in der die Königin mit ihrem Kind schlief und verlangte seinen Lohn. Die Königin erschrak. Sie bot dem Männchen alle Reichtümer des Königreichs an, nur das Kind wollte sie ihm nicht geben.

Aber das Männchen sprach: „Du musst dein Versprechen halten! Und außerdem ist mir etwas Lebendes lieber als alle Schätze der Welt.“ Da fing die Königin laut an zu jammern und zu weinen, so dass das Männchen Mitleiden mit ihr hatte. Es sagte: „Drei Tage will ich dir Zeit lassen, wenn du bis dahin meinen Namen weißt, so sollst du dein Kind behalten.“

Nun dachte die Königin die ganze Nacht über an alle Namen, die sie jemals gehört hatte. Sie schickte Boten aus, die sollte sich nach neuen Namen erkundigen, die sie bisher noch nicht kannte. Als das Männchen am anderen Tag kam, fing sie an mit Caspar, Melchior, Balthasar und sagte alle Namen, die ihr einfielen. Aber bei jedem sprach das Männlein: „So heiß ich nicht.“

Am zweiten Tag ließ sie herumfragen bei allen Gelehrten des Landes. Als das Männchen am Abend kam und die Königin nach seinem Namen fragte, da versuchte sie es mit den ungewöhnlichsten und seltsamsten wie Rippenbiest, Hammelswade, Schnürbein, aber die Antwort war immer die Gleiche: „So heiß ich nicht.“

Am dritten Tag kam einer der Boten zurück und erzählte: „Neue Namen habe ich keinen einzigen finden können, aber als ich durch einen verwunschenen Wald kam, im dem sich nur Fuchs und Hase gute Nacht sagen, da fand ich ein kleines Haus. Vor dem Haus brannte ein Feuer, und um das Feuer sprang ein lächerliches Männchen.

Es hüpfte auf einem Bein und schrie immer wieder:
„Heute back ich, morgen brau ich,
übermorgen hol ich der Königin ihr Kind;
ach, wie gut, dass niemand weiß
dass ich Rumpelstilzchen heiß!“

Da war die Königin sicher, dass sie den Namen wusste. Sie war froh und dankte dem Boten. Am Abend des dritten Tages kam das Männlein, um zum letzten Mal nach seinem Namen zu fragen.  Es sprach: „Nun, Frau Königin, wie heiß ich?“ Die Königin tat so, als ob sie sein Geheimnis nicht wüsste. Erst fragte sie: „Heißt du Hinz?“ – „Nein.“ – „Heißt du Kunz?“ -  „Nein.“ – „Heißt du etwa Rumpelstilzchen?“

„Das hat dir der Teufel gesagt, das hat dir der Teufel gesagt“, schrie das Männlein, außer sich vor Wut. Dabei stieß es mit dem rechten Fuß vor Zorn so fest auf den Boden, dass ein tiefes Loch entstand, in dem es zur Hälfte versank. Dann packte es in seiner Wut den linken Fuß mit beiden Händen und riss sich selbst mitten entzwei.
Erzählt nach dem Märchen von Jakob und Wilhelm Grimm
Bild: gemeinfrei
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