2110 Hans im Glück

Hans im Glück



Hans war ein fröhlicher junger Mann, der sich für keine Arbeit zu schade war. Er hatte zuletzt sieben Jahre bei einem Meister gearbeitet. Doch nun verspürte er Sehnsucht nach seinem Elternhaus, das er lange nicht gesehen hatte. Er bat um seinen Lohn.

Der Herr war sehr zufrieden mit seiner Arbeit und schenkte ihm zum Abschied einen Klumpen Gold, der so groß war wie ein Kopf. Hans wickelte diesen in ein Tuch, warf es über die Schulter und machte sich auf den Weg nach Hause. Da kam ihm ein Reiter entgegen. „Ach“, sprach da der Hans, „so gut möchte ich es auch einmal haben. Auf so einem Pferd sitzt man bequem, stößt sich an keinen Stein, schont seine Schuhe und kommt auch noch viel schneller voran als zu Fuß.“

Das hörte der Reiter. Er hielt an und fragte listig: „Warum läufst du zu Fuß?“ Hans antwortete: „Weil ich kein Pferd habe! Ich trage zwar einen Klumpen Gold mit mir herum, aber trotzdem muss ich laufen.“ Da meinte der Reiter: „Weißt du was? Wir könnten doch einfach tauschen. Ich gebe dir mein Pferd und du gibst mir deine schwere Last.“

„Von Herzen gern“, antwortete der Hans. Der Reiter stieg vom Pferd, nahm das Gold und half ihm beim Aufsteigen. Er sagte auch noch: „Wenn du einmal schneller reiten willst, dann musst du mit der Zunge schnalzen und ‚hopp, hopp’ rufen“.

Nun war Hans total froh. Er saß gemütlich auf seinem Pferd und ließ sich durch die Welt tragen. Nach einer Weile wurde es ihm langweilig. Er schnalzte mit der Zunge und rief „Hopp, hopp!“ Sofort begann das Pferd zu galoppieren. Hans, der noch nie geritten war, hopste auf und nieder und wusste nicht, was er tun sollte. Schließlich konnte er sich nicht mehr halten und flog in hohem Bogen in einen Wassergraben.
Das Pferd wäre wohl einfach weiter gelaufen, wenn es nicht ein Bauer eingefangen hätte, der mit einer Kuh daher kam. Mühsam stand Hans auf und rieb sich den Rücken.

Er sprach zu dem Bauern: „Das Reiten ist ja viel zu gefährlich! Dabei kann man sich glatt den Hals brechen. Auf diese Mähre setze ich mich nie wieder! Da lob ich mir doch eine friedliche Kuh. Mit der kann man gemächlich umherziehen und obendrein gibt sie noch Milch, so dass man immer etwas trinken und Butter und Käse machen kann. Was gäbe ich darum, wenn ich so eine Kuh hätte!“
„Dann lass uns doch tauschen“, sprach der Bauer, „ich gebe dir meine Kuh, du gibst mit dein Pferd und uns beiden ist geholfen.“

Hans war sofort einverstanden, der Bauer aber schwang sich aufs Pferd und ritt eilig davon. Hans trieb nun seine Kuh ruhig vor sich her und dachte an den glücklichen Handel. „Jetzt brauche ich nur ein Stück Brot, und dann kann ich immerzu Butter und Käse dazu essen. Und wenn ich Durst habe, dann melke ich meine Kuh und trinke Milch. Herz, was verlangst du mehr?“

In einem Wirtshaus aß er seine gesamten Vorräte auf und ließ sich für sein letztes Geld ein Glas Bier einschenken. Dann zog er mit der Kuh weiter. Er war sehr heiß und bald klebte ihm vor Durst die Zunge am Gaumen.

Da beschloss Hans, seine Kuh zu melken und sich an der Milch zu laben. Er band sie an einen  Baum und weil er keinen Eimer hatte, versuchte er die Milch mit seiner Ledermütze aufzufangen. Doch so sehr er sich auch bemühte, es kam kein Tropfen Milch zum Vorschein. Zudem stellte er sich so ungeschickt an, dass ihm das ungeduldige Tier mit einem Hinterfuß einen solchen Schlag vor den Kopf gab, dass er zu Boden taumelte und eine Zeitlang gar nicht wusste, wo er war.

Glücklicherweise kam gerade ein Metzger des Weges, der auf einem Schuhkarren ein junges Schwein liegen hatte. „Was ist los?“ rief er und half dem guten Hans auf. Hans erzählte, was vorgefallen war. Der Metzger reichte ihm zunächst seine Flasche und ließ ihn trinken. Dann sagte er: „Die Kuh wird wohl keine Milch mehr geben, die ist schon zu alt und taugt nur noch zum Schlachten“.

„Da hast du recht“, sprach Hans und strich über seine Haare, „wenn man sie schlachtet, dann hat man viel Fleisch! Doch ich mag kein Kuhfleisch, es ist mir nicht saftig genug. Ja, wenn ich so ein junges Schwein hätte! Das schmeckt viel besser und die Würste kann man lange aufbewahren.“

„Dann will ich dir zuliebe mein Schwein gegen deine Kuh eintauschen“, sprach der Metzger. -  „Gott wird dich dafür belohnen“, antwortete Hans. Er gab ihm die Kuh, nahm das Schwein und führte es an einem Strick davon.

Hans zog weiter und war sehr zufrieden mit seinen Geschäften. Immer, wenn ihn etwas ärgerte, ging es doch gut für ihn weiter. Schließlich begegnete ihm ein junger Bursche, der trug eine schöne weiße Gans auf dem Arm. Sie plauderten etwas miteinander und Hans fing an, von seinem Glück zu erzählen, und wie er immer so vorteilhaft getauscht hätte.

Der Bursche erzählte, dass er die Gans zu einem Gastmahl brächte, das nach einer Kindstaufe gehalten werden sollte. „Heb sie einmal hoch“, meinte er und packte sie bei den Flügeln, „siehst du, wie schwer sie ist? Die ist aber auch acht Wochen lang gemästet worden.“

Dabei sah sich der Bursche nach allen Seiten um und schüttelte schließlich den Kopf. Dann sprach er: „Ist mit deinem Schwein eigentlich alles in Ordnung? Ich kam vorhin durch ein Dorf, da hatte man dem Bürgermeister gerade ein Schwein gestohlen. Alle Leute liefen aufgeregt herum und suchten den Dieb. Kann es sein, dass du das Schwein des Bürgermeisters an der Leine führst?“

Da bekam es der gute Hans mit der Angst zu tun. Sofort hatte er eine Idee. „Hier, nimm du mein Schwein und gib mir deine Gans dafür. Wir gehen in verschiedene Richtungen und dann wird mich keiner für einen Dieb halten.“

Der Bursche nahm das Seil in die Hand und trieb das Schwein schnell auf einem Seitenweg fort. Hans aber wanderte mit der Gans unter dem Arme seinem Heimatdorf entgegen. Er dachte dabei schon an den fetten Gänsebraten und an die Federn, aus denen ihm seine Mutter bestimmt ein neues Kopfkissen machen würde.

Im nächsten Dorf traf er einen Scherenschleifer. Der ließ seinen Schleifstein surren und sang dazu. Hans blieb neugierig stehen, sah ihm beim Schleifen zu und sprach: „Das ist ja ein schönes Gewerbe. Du arbeitest und bist richtig fröhlich dabei.“ – Oh ja“, entgegnete der Scherenschleifer. Mein Handwerk hat ja auch einen goldenen Boden, wie man so sagt. Ich bekomme von den Leuten viel Kleingeld für meine Arbeit. So kann ich immer mit den Geldstücken in meiner Hosentasche klimpern.

Aber wo hast du die schöne Gans gekauft?“ - „Die hab ich nicht gekauft“, antwortete Hans, „die habe ich für mein Schwein eingetauscht.“
„Und das Schwein?“
„Das hab ich für eine Kuh gekriegt.“
„Und die Kuh?“
„Die hab ich für ein Pferd bekommen.“
„Und das Pferd?“
„Dafür gab ich einen Klumpen Gold, der war so groß wie mein Kopf.“
„Und das Gold?“
„Das habe ich für sieben Jahre Arbeit bekommen.“

Der Scherenschleifer witterte ein gutes Geschäft. „Dann fehlt dir ja nur noch, dass du Geld in der Tasche hast. Ich will dir dazu verhelfen. Gib mir deine Gans und du bekommst von mir einen Wetzstein. Der ist zwar leicht beschädigt, aber du wirst damit schon klar kommen. Alles andere findet sich von selber.“

Der betrügerische Scherenschleifer hob außerdem einen gewöhnlichen schweren Feldstein auf, der neben ihm lag. Hans nahm beide Steine und ging vergnügt weiter. Seine Augen leuchteten vor Freude und er dachte, er müsse wohl in einer Glückshaut geboren sein.

Es war spät geworden. Hans war seit Tagesanbruch auf den Beinen, nun war er hundemüde. Außerdem plagte ihn der Hunger, denn er hatte alle seine Vorräte bereits aufgegessen. Er konnte nur noch mühsam weitergehen und musste oft anhalten. Dabei drückten ihn die Steine ganz erbärmlich. Müde langte er an einem tiefen Brunnen an und wollte sich ein wenig waschen und etwas Wasser trinken. Er legte die Steine bedächtig neben sich auf den Rand des Brunnens.
Dann bückte er sich, um zu trinken. Dabei stieß er aus Versehen gegen die Steine und beide plumpsten in die Tiefe.

Als Hans das sah, sprang er freudig auf, kniete nieder und dankte Gott mit Tränen in den Augen, dass er ihn von dieser schweren Last befreit hatte.
„Ich bin der glücklichste Mensch unter der Sonne“, rief er und mit leichtem Herzen und frei von aller Last wanderte er weiter.
Erzählt nach dem Märchen von Jakob und Wilhelm Grimm
Bild: Bild: Märchenbrunnen im Volkspark Friedrichshain: Skulptur zum Märchen Hans im Glück. - Boonekamp (PD)
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