2105 Tischlein deck dich

Tischlein deck dich



Es lebte einmal ein Schneider, der hatte drei Söhne und nur eine einzige Ziege. Weil die Ziege alle zusammen mit ihrer Milch ernährte, musste sie täglich hinaus auf die Weide geführt werden. Die Söhne taten das der Reihe nach. Einmal brachte sie der älteste auf den Kirchplatz, wo die schönsten Kräuter standen, ließ sie da fressen und herumspringen. Abends, als es Zeit war heimzugehen, fragte er: „Ziege, bist du satt?“ Die Ziege antwortete: „Ich bin so satt, ich mag kein Blatt. Mää, mää!“

„Dann komm' nach Haus“, sprach der Junge, führte sie in den Stall und band sie fest. "Nun", fragte der alte Schneider, "hat die Ziege genug Futter bekommen?" "Das will ich meinen", antwortete der Sohn, "sie ist satt und mag kein Blatt mehr." Der Vater wollte sich selbst überzeugen, ging in den Stall, streichelte das Tier und fragte: "Ziege, bist du satt?" Doch da antwortete die Ziege: "Wovon sollt' ich satt sein? Ich sprang nur über Gräben und fand kein einziges Blatt. Mää, mää!"

„Was muss ich hören!“ rief der Schneider, lief hinauf und schrie den Jungen an: „Du Lügner! Du sagst, die Ziege wäre satt und hast sie doch nur hungern lassen?“ In seinem Zorne nahm er die Elle von der Wand und jagte ihn mit Schlägen aus dem Haus.

Am anderen Tag suchte der zweite Sohn an der Gartenhecke einen Platz aus, wo lauter gute Kräuter standen. Die Ziege fraß sie alle ab und abends, als er nach Hause wollte, fragte er: „Ziege, bist du satt?“ Sie antwortete: „Ich bin so satt, ich mag kein Blatt. Mää! mää!“

„Dann komm' mit nach Haus“, sprach der Junge, zog sie am Strick hinter sich her und band sie im Stall fest. „Nun“, fragte der alte Schneider wieder, „hat die Ziege ihr Futter bekommen?“ -  „Ja, sicher“, antwortete der Sohn, „die ist so satt, sie mag kein Blatt.“

Der Schneider wollte sich auf die Antwort nicht verlassen, ging in den Stall und fragte: „Ziege, bist du auch satt?“ Die Ziege antwortete: „Wovon sollt' ich satt sein? Ich sprang nur über Gräben und fand kein einziges Blatt. Mää, mää!“

„Der gottlose Bösewicht!“ schrie der Schneider, „so ein armes Tier einfach hungern zu lassen!“ Er lief hin und schlug mit der Elle den Jungen zur Haustür hinaus.

Jetzt war der dritte Sohn an der Reihe. Der wollte seine Sache besonders gut machen, suchte Buschwerk mit dem saftigsten Laub aus und ließ die Ziege davon fressen. Als er am Abend heim wollte, fragte er: „Ziege, bist du satt?“ Die Ziege antwortete: „Ich bin so satt, ich mag kein Blatt. Mää, mää!“

„Dann komm' mit nach Haus,“ sagte der Junge, führte sie in den Stall und band sie fest. „Nun“, fragte der alte Schneider, „hat die Ziege heute genug Futter bekommen?“ – „Gewiss“, antwortete der Sohn, „die ist so satt, sie mag kein Blatt mehr.“

Doch der Schneider traute ihm nicht, ging selbst hin und fragte wieder: „Ziege, bist du auch satt?“ Das boshafte Tier antwortete: „Wovon sollt' ich satt sein? Ich sprang nur über Gräben und fand kein einziges Blatt. Mää,mää!“

„O, du Lügenbrut!“ rief der Schneider, „einer so gottlos und pflichtvergessen wie der andere! Ihr sollt mich nicht länger zum Narren halten!“ Und vor Zorn ganz außer sich lief er ins Haus und gerbte dem armen Jungen mit der Elle den Rücken so gewaltig, dass der floh und nicht wiederkam.

Der alte Schneider war nun mit seiner Ziege allein. Am andern Morgen ging er in den Stall, liebkoste die Ziege und sprach: „Komm, mein liebes Tier, ich will dich selbst zur Weide führen.“ Er nahm sie am Strick und brachte sie zu grünen Hecken, zu duftenden Kräutern und anderem, was Ziegen gern fressen. „Da kannst du dich einmal nach Herzenslust sättigen,“ sprach er zu ihr und ließ sie weiden bis zum Abend. Da fragte er: „Ziege, bist du satt?“ Sie antwortete wie immer: „Ich bin so satt, ich mag kein Blatt. Mää, mää!“

„So komm' nach Haus", sagte der Schneider, führte sie in den Stall und band sie fest. Als er wegging, drehte er sich noch einmal um und fragte: „Bist du nun endlich einmal satt geworden?“ Aber die Ziege gab ihm wieder die bekannte Antwort: „Wovon sollt' ich satt sein? Ich sprang nur über Gräben und fand kein einziges Blatt. Mää,mää!“

Als der Schneider das hörte, erkannte er, dass er seine drei Söhne ohne Grund verstoßen hatte. „Warte,“ rief er, „du undankbares Geschöpf! Dich werde ich fortjagen. Aber vorher will ich dich zeichnen, dass du dich unter ehrbaren Menschen nicht mehr sehen lassen kannst.“ In seinem großen Zorn holte er sein Bartmesser, seifte der Ziege den Kopf ein und schor sie glatt wie seine flache Hand. Und weil die Elle zu ehrenvoll gewesen wäre, holte er die Peitsche und versetzte ihr solche Hiebe, dass sie in gewaltigen Sprüngen davonlief.

Der Schneider saß nun ganz einsam in seinem Hause. Er verfiel in große Traurigkeit und hätte seine Söhne gern wieder gehabt, aber niemand wusste, wo sie hingegangen waren. 

Der älteste war zu einem Schreiner in die Lehre gekommen, da lernte er fleißig und unverdrossen, und als seine Lehrzeit herum war, schenkte ihm der Meister ein Tischchen, das ganz schlicht aussah und aus gewöhnlichem Fichtenholz gemacht war. Aber es hatte eine besondere Eigenschaft. Wenn man es hinstellte und sprach: „Tischlein, deck' dich!“ so war der Tisch auf einmal mit einem sauberen Tuch bedeckt.

Darauf standen ein Teller mit Messer und Gabel daneben und Schüsseln mit Gesottenem und Gebratenem. Ein großes Glas mit rotem Wein leuchtete, dass einem das Herz lachte. Der junge Geselle dachte: „Damit hast du genug für dein Lebtag,“ zog guter Dinge in die Welt hinaus und fragte nicht danach, ob ein Wirtshaus gut oder schlecht war. Manchmal kehrte er nirgendwo ein, sondern hielt im Felde, im Walde, auf einer Wiese an, wo er gerade Lust hatte. Dann nahm er sein Tischchen vom Rücken, stellte es vor sich und sprach: „Tischlein, deck' dich!“ Immer war sofort alles da, was sein Herz begehrte. 

Endlich beschloss er, zu seinem Vater zurückzukehren. Er hoffte, dass dessen Zorn sich gelegt hatte, und dass er ihn mit dem Tisch gern wieder aufnehmen würde. 

Auf dem Heimweg kam er abends in ein Wirtshaus, in dem viele Gäste saßen. Sie hießen ihn willkommen und luden ihn ein, sich zu ihnen zu setzen und mit ihnen von den Resten zu essen, denn die Küche sei schon geschlossen. „Nein, danke,“ antwortete der Schreiner, „die paar Bissen will ich euch nicht wegnehmen, lieber sollt ihr meine Gäste sein.“

Sie lachten und meinten, er mache Spaß. Er aber stellte seinen hölzernen Tisch mitten in die Stube und sprach: „Tischlein, deck' dich!“ Augenblicklich war er voller Speisen, wie sie der Wirt nicht besser hätte servieren können und der Geruch stieg den Gästen lieblich in die Nase. „Zugegriffen, liebe Freunde“, sprach der Schreiner, und die Gäste ließen sich nicht zweimal bitten, rückten heran und griffen tapfer zu. Was sie am meisten verwunderte: Wenn eine Schüssel leer geworden war, stellte sich gleich von selbst eine volle an ihren Platz.

Der Wirt stand in einer Ecke und sah zu. Er wusste gar nicht, was er sagen sollte, dachte aber: „Einen solchen Koch könntest du in deiner Wirtschaft wohl gebrauchen.“ Der Schreiner und seine Gesellschaft aßen und tranken lustig bis in die späte Nacht. Endlich legten sie sich schlafen und der junge Geselle stellte sein Tischchen an die Wand. Dem Wirt aber ließen seine Gedanken keine Ruhe. In seiner Rumpelkammer stand noch ein altes Tischchen, das gerade so aussah wie das des Schreiners. Das holte er herbei und vertauschte es mit dem Wünschtischchen.

Am andern Morgen bezahlte der Schreiner sein Zimmer, packte sein Tischchen, dachte gar nicht daran, dass es vertauscht worden sein könnte und ging seiner Wege. Zu Mittag kam er bei seinem Vater an, der ihn mit großer Freude empfing.

„Nun, mein lieber Sohn, was hast du gelernt?“ fragte er. „Vater, ich bin ein Schreiner geworden.“ – „Ein gutes Handwerk!“ erwiderte der Alte, „aber was hast du denn da mitgebracht?“ – „Vater, das Beste, was ich mitgebracht habe, ist das Tischchen.“

Der Vater betrachtete es von allen Seiten und sagte: „Daran hast du kein Meisterstück gemacht, das ist ein altes und schlechtes Tischchen.“ – „Aber es ist ein Tischchendeckdich,“ antwortete der Sohn. „Wenn ich es hinstelle und sage ihm, es solle sich decken, so stehen gleich die schönsten Speisen darauf und ein Wein, der das Herz erfreut. Lade nur alle Verwandten und Freunde ein, die sollen sich einmal laben und erquicken, denn das Tischchen macht sie alle satt.“

Als die Gesellschaft beisammen war, stellte er sein Tischchen mitten in die Stube und sprach: „Tischlein, deck' dich!“  Aber das Tischchen regte sich nicht und blieb so leer wie ein normaler Tisch, der die menschliche Sprache nicht versteht. Da merkte der arme Geselle, dass das Tischchen vertauscht worden war und schämte sich, dass er als Lügner und Angeber dastand. Die Verwandten aber lachten ihn aus und mussten hungrig und durstig wieder heim wandern.

Der zweite Sohn war zu einem Müller gekommen und bei ihm in die Lehre gegangen. Als seine Lehrjahre herum waren, sprach der Meister: „Weil du dich so gut verhalten und gearbeitet hast, schenke ich dir einen Esel. Doch er ist von einer besonderen Art, er zieht keinen Wagen und trägt auch keine Säcke.“ – „Wozu ist er denn nütze?“ fragte der junge Geselle.

„Er spuckt Gold“, antwortete der Müller. „Wenn du ihn auf ein Tuch stellst und sprichst: ,Bricklebrit!', so spuckt dir das Tier Goldstücke aus, hinten und vorn.“ – „Das ist ein schönes Geschenk,“ meinte der Geselle, dankte dem Meister und zog hinaus in die Welt. Wenn er Geld nötig hatte, brauchte er nur zu seinem Esel ,Bricklebrit!' zu sagen, so regnete es Goldstücke und er musste sie nur noch von der Erde aufheben.

Wohin er kam, war ihm das Beste gut genug, und je teurer je lieber, denn er hatte immer Geld genug. Als er sich eine Zeitlang in der Welt umgesehen hatte, dachte er: „Du musst deinen Vater aufsuchen; wenn du mit dem Goldesel kommst, wird er seinen Zorn vergessen und dich gut aufnehmen.“
Auf dem Weg zu seinem Vater geriet er in dasselbe Wirtshaus, in dem seinem Bruder das Tischchen vertauscht worden war. Er führte den Esel an der Hand und der Wirt wollte ihm das Tier abnehmen und anbinden, der junge Geselle aber sprach: „Gebt Euch keine Mühe. Meinen Grauschimmel führe ich selbst in den Stall und binde ihn auch selbst an, denn ich muss wissen, wo er steht.“

Dem Wirt kam das sonderbar vor und er meinte, einer, der seinen Esel selbst anbinden müsste, hätte nicht viel zu verzehren. Als aber der Fremde in die Tasche griff, zwei Goldstücke herausholte und sagte, er sollte nur etwas Gutes für ihn zubereiten, so machte er große Augen, lief und kochte das leckerste Mahl, das in seinem Kochbuch stand.

Nach der Mahlzeit fragte der Gast nach der Rechnung. Der Wirt nannte die Summe. Der Geselle griff in die Tasche, aber sein Gold war eben zu Ende. „Wartet einen Augenblick, Herr Wirt,“ sprach er, „ich will nur gehen und Geld holen.“ Er nahm dabei das Tischtuch mit.

Der Wirt wusste nicht, was das heißen sollte. Neugierig schlich er ihm nach und weil der Gast die Stalltür zuriegelte, guckte er durch ein Loch in der Wand. Der Fremde breitete unter dem Esel das Tuch aus und rief: ,Bricklebrit!' Augenblicklich fing das Tier an Gold zu spucken, hinten und vorn, dass es ordentlich auf die Erde herabregnete. „Ei der Tausend,“ sagte der Wirt, „so eine Geldmaschine ist nicht übel!“

Der Gast bezahlte seine Zeche und legte sich schlafen. Der Wirt jedoch schlich in der Nacht in den Stall, führte den Goldesel weg und band einen anderen Esel an seine Stelle.

Am folgenden Morgen zog der Geselle mit seinem Esel ab und meinte natürlich, er hätte seinen Goldesel am Halfter. Mittags kam er bei seinem Vater an. Der freute sich, als er ihn wieder sah, und nahm ihn gern auf.
„Was ist aus dir geworden, mein Sohn?“ fragte der Alte. „Ein Müller, lieber Vater,“ antwortete der.“ – „Und was hast du von deiner Wanderschaft mitgebracht?“ – „Weiter nichts als einen Esel.“ – „Esel gibt's hier genug,“ sagte der Vater, „mir wäre eine gute Ziege lieber gewesen.“

Da antwortete der Sohn: „Aber es ist kein gewöhnlicher Esel, sondern ein Goldesel. Wenn ich sage ,Bricklebrit!' so spuckt das gute Tier ein ganzes Tuch voll mit Goldstücken. Lasst nur alle Verwandten herbeirufen, ich mache sie alle zu reichen Leuten.“

„Das gefällt mir“, sagte der Vater, „dann brauch' ich mich mit der Schneiderarbeit nicht weiter zu quälen.“ Er rief die Verwandten herbei. Sobald alle beisammen waren, breitete der Müller ein Tuch aus und brachte den Esel in die Stube. „Jetzt gebt acht“, sagte er und rief: "Bricklebrit".
Aber es waren keine Goldstücke, was da herab fiel, und es zeigte sich, dass das Tier nichts von der Kunst verstand. Da machte der arme Müller ein langes Gesicht und sah, dass er betrogen worden war.

Er bat die Verwandten um Verzeihung, die so arm heimgingen, wie sie gekommen waren. Es blieb ihnen nichts übrig, der Alte musste wieder zu Nadel und Faden greifen und der Junge sich Arbeit bei einem Müller suchen.
Der dritte Bruder war zu einem Drechsler in die Lehre gegangen. Weil es ein kunstreiches Handwerk ist, musste er am längsten lernen. Seine Brüder aber schrieben ihm einen Brief und erzählten, wie es ihnen ergangen war und wie sie der Wirt noch am letzten Abend um ihre schönen Dinge gebracht hatte.

Als der Drechsler nun ausgelernt hatte, schenkte ihm sein Meister einen Sack und sagte: „Es liegt ein Knüppel darin.“ – „Den Sack kann ich umhängen und er kann mir gute Dienste leisten“, sprach der Geselle, „aber was soll der Knüppel darin? Der macht ihn nur schwer.“

„Das will ich dir sagen“, antwortete der Meister, „will dir jemand etwas zuleide tun, so sprich nur: ,Knüppel aus dem Sack!'. Sofort springt der Knüppel heraus und tanzt den Leuten so lustig auf dem Rücken herum, dass sie sich acht Tage lang nicht regen und bewegen können. Er lässt nicht eher ab, als bis du sagst: Knüppel in den Sack.“

Der Gesell bedankte, hängte den Sack um, und wenn ihm jemand zu nahe kam und ihn angreifen wollte, so sprach er: „Knüppel aus dem Sack!“ Sofort sprang der Knüppel heraus und klopfte einem nach dem andern auf dem Rücken herum. Das ging so geschwind, dass, ehe sich's einer versah, war er schon an der Reihe.

Der junge Drechsler gelangte zur Abendzeit in dem Wirtshaus an, in dem seine Brüder waren betrogen worden. Er legte seinen Ranzen vor sich auf den Tisch und fing an zu erzählen, was er alles Merkwürdiges in der Welt gesehen habe.

„Ja“, sagte er, „man findet wohl ein Tischleindeckdich, einen Goldesel und dergleichen - lauter gute Dinge, die ich nicht verachte. Aber das ist alles nichts gegen den Schatz, den ich mir erworben habe und in meinem Sack da mit mir führe.“

Der Wirt spitzte die Ohren: „Was in aller Welt mag das sein?“ dachte er, „der Sack ist wohl mit lauter Edelsteinen gefüllt, den möchte ich auch noch billig haben, denn aller guten Dinge sind drei.“

Als Schlafenszeit war, streckte sich der Gast auf die Bank und benutzte seinen Sack als Kopfkissen. Als der Wirt meinte, der Gast läge in tiefem Schlaf, schlich er herbei. Er rückte und zog ganz sachte und vorsichtig an dem Sack, um ihn wegzuziehen und einen anderen unter den Kopf des Schlafenden zu legen. Der Drechsler aber hatte schon lange darauf gewartet.

Als der Wirt eben einen herzhaften Ruck tun wollte, rief er: „Knüppel aus dem Sack!“

Sofort fuhr das Knüppelchen heraus und schlug den Wirt auf verschiedene Stellen des Körpers, dass es eine Art hatte. Der Arme schrie um Erbarmen, aber je lauter er schrie, desto kräftiger schlug der Knüppel den Takt dazu, bis er endlich erschöpft zur Erde fiel.

Da sprach der Drechsler: „Wenn du das Tischchendeckdich und den Goldesel nicht wieder herausgibst, so soll der Tanz von neuem beginnen.“ – „Ach nein“, rief der Wirt kleinlaut, „ich gebe alles gern wieder heraus, lasst nur den verwünschten Kobold wieder in den Sack kriechen!“ Da sprach der Geselle: „Ich will Gnade vor Recht ergehen lassen, aber hüte dich vor weiteren Untaten!“ Dann rief er: „Knüppel in den Sack!“ und ließ ihn ruhen.
Der Drechsler zog am anderen Morgen mit dem Tischchendeckdich und dem Goldesel heim zu seinem Vater. Der Schneider freute sich, als er ihn wieder sah und fragte auch ihn, was er in der Fremde gelernt hätte.

„Lieber Vater“, antwortete er, „ich bin ein Drechsler geworden.“ – „Ein kunstreiches Handwerk!“ sagte der Vater, „was hast du von der Wanderschaft mitgebracht.“ - Ein kostbares Stück, lieber Vater“, antwortete der Sohn, „einen Knüppel in dem Sack.“ – „Was!“ rief der Vater, „einen Knüppel? Das ist doch der Mühe nicht wert! Den kannst du dir von jedem Baum abhauen.“

„Aber einen solchen nicht, lieber Vater! Sage ich: Knüppel aus dem Sack! so springt der Knüppel heraus und macht mit dem, der es nicht gut mit mir meint, einen schlimmen Tanz. Mit diesem Knüppel habe ich das Tischchendeckdich und den Goldesel wieder herbeigeschafft, die der diebische Wirt meinen Brüdern abgenommen hatte. Jetzt lass sie beide rufen und lade alle Verwandten ein, sie sollen speisen und trinken und ich will ihnen die Taschen mit Gold füllen.“

Der alte Schneider wollte das erst nicht glauben, rief dann aber doch die Verwandten zusammen. Nun legte der Drechsler ein Tuch in der Stube auf den Boden, führte den Goldesel herein und sagte zu seinem Bruder: „Nun, lieber Bruder, sprich mit ihm.“ Der Müller sagte: „Bricklebrit!“ Augenblicklich sprangen die Goldstücke auf das Tuch herab als käme ein Platzregen. Der Esel hörte nicht eher auf, bis alle so viel hatten, wie sie nur tragen konnten.

Dann holte der Drechsler das Tischchen und sagte: „Lieber Bruder, nun sprich mit ihm.“ Kaum hatte der Schreiner: „Tischlein deck' dich!“ gesagt, so war für alle gedeckt und die schönsten Schüsseln mit Speisen standen auf dem Tisch. 

Da wurde ein Fest gefeiert, wie es der gute Schneider in seinem Hause noch nicht erlebt hatte, und die ganze Verwandtschaft blieb zusammen bis in die Nacht und alle waren lustig und vergnügt. Der Schneider aber verschloss am nächsten Tag Nadel und Zwirn, Elle und Bügeleisen in einem Schrank und lebte mit seinen drei Söhnen in Freude und Herrlichkeit.
Erzählt nach dem Märchen der Gebrüder Grimm
Illustration von Heinrich Leutemann oder Carl Offterdinger (gemeinfrei)

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