2015 Untergang der Stadt Vineta

Der Untergang der Stadt Vineta 

Irgendwo bei der Insel Usedom gibt es eine Stelle in der Ostsee, an der vor langer Zeit die Stadt Vineta versank. Es war eine schöne Siedlung, damals eine der größten Städte Europas, der Mittelpunkt des Handels zwischen den germanischen Völkern des Südens und Westens und den slawischen Völkern des Ostens. Sie galt als das Venedig des Nordens.

Viele Bewohner waren reich geworden, andere hatten mindestens ein gutes Auskommen. Die Tore der Stadt waren aus Erz gefertigt, mit kunstvollen Bildern geschmückt. Das Geschirr in den Häusern war aus Silber und manches Gerät aus purem Gold.

Aber irgendwann wurden Frieden und Zusammenhalt der Menschen in der Stadt Vineta zerstört. Es herrschte Uneinigkeit und zügelloses Leben. Die Bürger standen nicht mehr füreinander ein. Sie zankten, zeigten stolz ihren prachtvollen Besitz, verprassten ihr Geld und mancher war der Trunksucht ergeben.

Da erhob sich in einer finsteren Nacht ein gewaltiger Sturm. Er peitschte das Wasser gegen die Hafenmauern, es stieg immer höher und die stolze Stadt Vineta versank in den Fluten. Nur wenige Bewohner konnten noch fliehen und dem Untergang entkommen.

Doch noch lange danach konnten Schiffer, wenn sie bei ruhiger See über die versunkene Stadt hinweg fuhren, tief unten auf dem Meeresboden noch die Gassen und die Häuser der Stadt sehen. Der Rest Vinetas, der sich hier zeigte, war immer noch so groß wie die Stadt Lübeck.

Es wird auch erzählt, dass Vineta drei Monate, drei Wochen und drei Tage vor seinem Untergang gewafelt habe. Als Wafeln bezeichnet man eine Erscheinung, bei der kundige Menschen erkennen können, was in der Zukunft passiert.

Auch die Stadt Vineta soll mit allen Türmen, Palästen und Mauern als Luftbild zu sehen gewesen sein. Weise Alte warnten die Einwohner und rieten ihnen die Stadt zu verlassen. Denn wenn Städte, Schiffe oder Menschen wafeln und sich doppelt sehen lassen, so bedeutet das den sicheren Untergang oder das Ende. Die Alten wurden jedoch verlacht und niemand glaubte ihnen.

Noch heute kann man an Sonntagen bei stiller See über der Stelle, an der einst Vineta lag, die Glocken aus der Tiefe herauf klingen hören. Sie läuten leise und mit einem summenden Ton voller Trauer.

Erzählt nach Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853 / Bild: Hamsterkiste

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