1564 Emma und die Zeugnisse



Emma und die Zeugnisse

Es ist Januar geworden. Die Weihnachtsferien sind vorbei und ein neues Jahr hat begonnen. Am Ende des Monats gibt es Zeugnisse, diesmal sogar ganz besondere. Emma ist in einer vierten Klasse. Alle Kinder werden im Sommer auf andere Schulen aufgeteilt. Im Zeugnis, das sie nun bald bekommen, steht eine so genannte Schullaufbahnempfehlung.


Emma wusste bisher nicht, was dieses lange Wort bedeutet. Doch neulich hat ihre ältere Cousine Tamara einiges dazu erklärt. In Deutschland werden die Kinder am Ende der vierten Klasse in drei Gruppen eingeteilt. Die Kinder mit guten Zeugnissen gehen zum Gymnasium, die mit mittleren Zensuren zu einer Realschule, der Rest zu einer Hauptschule.


Emma erwartet eine Empfehlung für die Realschule. Sie war noch nie besonders gut, aber auch noch nie besonders schlecht in der Schule. Ihre Freundin Stange hingegen schreibt lauter Einser. In Sport ist sie sowieso die beste. Sie kommt bestimmt auf ein Gymnasium und mit ihr noch mehrere andere Kinder aus der Klasse. Darunter ist auch Maximilian. Sein Vater ist Zahnarzt und seine Mutter veranstaltet manchmal große Partys. Dafür ziehen sich die Gäste chic an, es gibt leckeres Essen, es wird gefeiert und nebenbei Geld für einen guten Zweck gesammelt.


Die Lehrer der Schule veranstalten eine lange Konferenz, um über die Empfehlungen zu beraten. Am Tag danach spricht Frau Claas, die Klassenlehrerin, mit jedem Kind. Emma wird eine Empfehlung für die Realschule bekommen, genauso wie ihre Freundin Berta, die eigentlich Chiara heißt. Frau Claas spricht auch mit Max. In der Pause danach gehen alle auf den Schulhof. Max ist traurig, er mag mit niemandem spielen. Er soll zur Hauptschule. Er hat damit gerechnet, denn seine Zensuren waren oft schlecht, seine Schrift ist krakelig und voller Fehler. Und trotzdem.


Emma weiß, dass Max auch zu Hause viele Probleme hat. Die Eltern sind geschieden, seine Mutter gilt als allein erziehend. Sie hat vier Kinder und kann nur halbtags arbeiten gehen. Die Familie hat wenig Geld. Die Mutter hat wenig Zeit und oft auch keine Kraft, den Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen.


Emma versucht, Max zu trösten. Sie weiß, dass sich die Wege der Kinder im Sommer trennen werden. Zu den verschiedenen Schulen gehören auch verschiedene Gebäude, die weit auseinander liegen. Trotzdem sagt sie zu Max: „Mach dir keine Sorgen, wir bleiben doch Freunde.“


Außer Max bekommen auch andere Kinder aus der Klasse die Empfehlung, eine Hauptschule zu besuchen. Darunter sind Ibrahim, Hakim, Rama und Tuca. Sie kamen vor einigen Jahren mit ihren Eltern aus Afghanistan und Syrien. Sie sprechen noch nicht gut Deutsch und können dem Unterricht kaum folgen.


Als die Pause zu Ende ist, gehen die Kinder wieder in ihre Klasse. Max versucht, nicht zu weinen. Emma tut, was sie kann, aber ein richtiger Trost fällt ihr nicht ein.

Bild: Hamsterkiste

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